Schatten

Fremdsprachen

"Good morning, class one, how are you today?" oder "Bonjour chèrs élèves de la première classe". So klingt der Anfang mancher Unterrichtsstunde in einer 1. Klasse an der Waldorfschule. Man hört munteres Singen und Sprechen auf Englisch oder Französisch und die ganzen folgenden 45 Minuten der Stunde sind erfüllt von den Klängen der jeweiligen Sprache.

Seit über 80 Jahren ist der Fremdsprachenunterricht von der ersten Klasse an Teil des pädagogischen Konzeptes und bewährte Tradition an Waldorfschulen. Jetzt ist es auch vom Kultusministerium als innovativ und zeitgemäß in den Lehrplan der Grundschulen eingegangen.

Den Hintergrund bieten vor allem Ergebnisse aus den Bereichen der Spracherwerbsforschung und der Entwicklungpsychologie. So kann ein Baby im Prinzip jede beliebige Sprache, von der es kontinuierlich umgeben ist, als Muttersprache erwerben. Die Muttersprache ist nicht genetisch veranlagt, denn sonst würden Kinder von deutschen Eltern nur deutsch, von türkischen Eltern nur türkisch erlernen können. Das Kind hat die Fähigkeit, die Sprache, die es umgibt, aufzunehmen. Aus der Gesamtheit der es umgebenden Sprache erwirbt das kleine Kind Bedeutung und Gebrauch von Nomen, Verben, Adjektiven und von diesen Ein-, Zwei- und Dreiwortsätzen ausgehend zunehmend komplexere Satzstrukturen. Das heißt, der Spracherwerb erfolgt nicht über bewusstes, intellektuelles Lernen, sondern intuitiv und gefühlsmäßig wird die Bedeutung der Sprache aufgenommen und angewendet. Wie genau diese Lernfähigkeit funktioniert ist bis heute in der wissenschaftlichen Psycholinguistik nicht eindeutig geklärt. Tatsache ist, dass diese Art des Lernens eine besondere Fähigkeit des frühen und mittleren Kindesalters ist, die zu Beginn der Schulzeit noch anhält, mit der weiteren Entwicklung jedoch abnimmt.

Auch beim Erwerb der Aussprache haben jüngere Kinder die Fähigkeit, andersartige Laute richtig nachzuahmen und ihre artikulatorischen Fähigkeiten leichter zu erweitern als Erwachsene. Im Gegensatz zu Kindern, die eine Zweit- oder Drittsprache lernen ist es selten, dass Erwachsene eine andere Sprache völlig akzentfrei artikulieren können.

Die kindlichen Fähigkeiten und die Beobachtungen zur Art und Weise des Erlernens der Muttersprache wurden in der Waldorfpädagogik schon früh umgesetzt in eine Methodik des Fremdsprachenunterrichts in der Unterstufe, die den Erwerb der Muttersprache nachahmt. In den Englisch-, bzw. Französischstunden der ersten bis dritten Klasse spricht der Lehrer / die Lehrerin nur in der anderen Sprache, so dass das Kind ganz umgeben ist von den anderen Klängen und Lauten. Der Unterricht vollzieht sich in dieser Zeit ganz im Mündlichen und Bildhaften, im Hören, gemeinsamen Sprechen und Tun. Da werden die für die Sprache und Kultur typischen Kinderlieder gesungen, action rhymes mit Händen und Füßen, Benennung der Gegenstände im  Klassenzimmer, Dialoge, Frage- und Antwortspiele, Rollenspiele und szenische Spiele durchgeführt. Anhand von Bildern oder Figuren  werden Geschichten erzählt. Die Erstklässler sind sehr gespannt und aufmerksam bei der Sache und erfassen sehr schnell aus dem Zusammenhang, was der Lehrer möchte. Begeistert und lebhaft beteiligen sie sich am gemeinsamen Tun. Spielerisch tauchen die Kinder in die andere Sprache ein und sind in kurzer Zeit in der Lage, die Dialog- und Rollenspiele selbständig auszuführen. Auf diese Art und Weise entwickeln die Kinder ein Sprachgefühl und ein Verständnis, das tief im Empfinden lebt.

Da die Kinder sprachlich gesehen in den ersten zwei bis drei Schuljahren schwerpunktmäßig als Aufgabe haben, in ihrer Muttersprache Sicherheit im Schreiben und Lesen zu erwerben, werden die Fremdsprachen erst gegen Ende der dritten, Anfang der vierten Klasse erlernt, wenn sich die Lautung und Schreibung der Muttersprache schon gefestigt hat. Die Kinder entdecken dann nach dem Erüben des Alphabets und der Buchstaben im Englischen und Französischen anhand mündlich bekannter kleiner Gedichte oder Dialoge die Schreibung der anderen Sprache im Zusammenhang mit ihrer Aussprache. Auch der Grammatikunterricht wird erst begonnen, wenn ein erstes Bewusstsein für die Grammatik der Muttersprache entwickelt worden ist.

Die Unterrichtsmethodik ändert sich entsprechend dem Lebensalter und Entwicklungsstand der Schüler. Vom ersten spielerischen Erwerb der anderen Sprachen führt der Weg nach der Grundschulzeit auch hin zum bewussten Erarbeiten der Sprache, d.h. dem bewussten Erüben grammatischer Regeln, dem Erweitern des Wortschatzes durch Vokabelarbeit usw. Dennoch versucht die Waldorfpädagogik, durch ihren Ansatz in den Kindern als Grundlage ein frühes Sprachempfinden zu wecken und zu erhalten.

Fremdsprachen im Unterricht

Schon nach den ersten Wochen des ersten Schuljahres, in der Regel nach den Herbstferien, wenn sich die Kinder an den Übergang vom Kindergarten zur Schule gewöhnt haben, beginnt für alle Kinder an den Waldorfschulen der Unterricht in zwei Fremdsprachen, meist Englisch und Französisch. Was vom Kultusministerium Baden Württembergs als innovativ und zeitgemäß in den Lehrplan der Grundschulen eingegangen ist und nach einer Pilotphase an einigen Schulen nun flächendeckend eingeführt werden soll, der Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1, hat an Waldorfschulen schon lange Tradition. Seit der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 in Stuttgart sind die Fremdsprachen ab Beginn der Schulzeit ein fester Bestandteil des Lehrplans mit zwei bis drei Wochenstunden Unterricht pro Sprache.

Sprachen ab erster Klasse

an Waldorfschulen seit über 80 Jahren Teil des pädagogischen Konzepts.

So klingt der Anfang mancher Unterrichtsstunde in einer 1. Klasse an der Waldorfschule: "Good morning, class one, how are you today?" oder "Bonjour chèrs élèves de la première classe". Man hört munteres Singen und Sprechen auf Englisch oder Französisch und die ganzen folgenden 45 Minuten der Stunde sind erfüllt von den Klängen der jeweiligen Sprache

Spracherwerbsfähigkeiten

Aus der Entwicklungspsychologie und der Spracherwerbsforschung ist schon lange bekannt, dass kleine Kinder über universale Spracherwerbsfähigkeiten verfügen. Ein Baby kann im Prinzip jede beliebige Sprache, von der es kontinuierlich umgeben ist,  als Muttersprache erwerben. Die Muttersprache ist nicht genetisch veranlagt, denn sonst würden Kinder von deutschen Eltern nur deutsch, von türkischen Eltern nur türkisch erlernen können. Das Kind hat die Fähigkeit, die Sprache, die es umgibt, aufzunehmen.

Aus der Gesamtheit der es umgebenden Sprache erwirbt das kleine Kind Bedeutung und Gebrauch von Nomen, Verben, Adjektiven und von diesen Ein-, Zwei- und Dreiwortsätzen ausgehend zunehmend komplexere Satzstrukturen. Das heißt, der Spracherwerb erfolgt nicht über bewusstes, intellektuelles Lernen, sondern intuitiv und gefühlsmäßig wird die Bedeutung der Sprache aufgenommen und angewendet. Wie genau diese Lernfähigkeit funktioniert ist bis heute in der  wissenschaftlichen Psycholinguistik nicht eindeutig geklärt. Tatsache ist, dass diese Art des Lernens eine besondere Fähigkeit des frühen und mittleren Kindesalters ist, die zu Beginn der Schulzeit noch anhält, mit der weiteren Entwicklung jedoch abnimmt.

Früh übt sich

Kommen Kindergartenkinder und Schulkinder der ersten Schuljahre mit einer anderen Sprache in Kontakt, vermögen sie die Sprache noch in solcher Weise aufzunehmen, dass sie nicht bewusst sich Worte und ihre Bedeutungen in ihre Muttersprache übersetzen oder Grammatikregeln lernen müssen. Über das Hören und die Anwendung der Sprache verinnerlichen sie Bedeutung und Gesetzmäßigkeiten. Ein Gefühl für die andere Sprache entsteht. Ältere Schulkinder und Erwachsene müssen sich eine Fremdsprache über  kognitiv – bewusstes Lernen erwerben, d.h. Wörter und Grammatikregeln oft mühsam dem Gedächtnis einprägen. Menschen, die z.B. im Erwachsenenalter in ein anderes Land übersiedeln und sich nicht aktiv über eigene Bemühungen oder in Sprachkursen die andere Sprache erarbeiten, erwerben sich meist ihr Leben lang  die sie umgebende Sprache nur in Grundzügen im Gegensatz zu ihren Kindern, die vielleicht in diesem Land aufwachsen, in den Kindergarten oder in die Schule gehen.

Auch beim Erwerb der Aussprache haben jüngere Kinder die Fähigkeit, andersartige Laute richtig nachzuahmen und ihre artikulatorischen Fähigkeiten leichter zu erweitern  als Erwachsene. Im Gegensatz zu Kindern, die eine Zweit-oder Drittsprache lernen ist es selten, dass Erwachsene eine andere Sprache völlig akzentfrei artikulieren können.

Wie die Muttersprache

Die kindlichen Fähigkeiten und die Beobachtungen zur Art und Weise des Erlernens  der Muttersprache wurden in der Waldorfpädagogik schon früh umgesetzt in eine Methodik des Fremdsprachenunterrichts in der Unterstufe, die den Erwerb der Muttersprache nachahmt. In  den Englisch-, bzw. Französischstunden der ersten bis dritten Klasse spricht der Lehrer / die Lehrerin nur in der anderen Sprache, so dass das Kind ganz umgeben ist von den anderen Klängen und Lauten. Der Unterricht vollzieht sich in dieser Zeit ganz im Mündlichen und Bildhaften, im Hören, gemeinsamen Sprechen und Tun. Da werden die für die Sprache und Kultur typischen Kinderlieder gesungen, action rhymes mit Händen und Füßen, Benennung der Gegenstände im Klassenzimmer, Dialoge, Frage-und Antwortspiele, Rollenspiele und szenische Spiele durchgeführt. Anhand von Bildern oder Figuren werden Geschichten erzählt. Die Erstklässler sind sehr gespannt und aufmerksam bei der Sache und erfassen sehr schnell aus dem Zusammenhang, was der Lehrer möchte. Begeistert und lebhaft beteiligen sie sich am gemeinsamen Tun. Spielerisch tauchen die Kinder in die andere Sprache ein und sind in kurzer Zeit in der Lage, die Dialog-und Rollenspiele selbständig auszuführen. Auf diese Art und Weise entwickeln die Kinder ein Sprachgefühl und ein Verständnis, das tief im Empfinden lebt.

Da die Kinder sprachlich gesehen in den ersten zwei bis drei Schuljahren schwerpunktmäßig als Aufgabe haben, in ihrer Muttersprache Sicherheit im  Schreiben und Lesen zu erwerben, werden die Fremdsprachen  erst  gegen Ende der 3., Anfang der 4. Klasse auch schriftlich eingeführt, wenn sich die Lautung und Schreibung der Muttersprache schon gefestigt hat. Die Kinder entdecken dann nach dem Erüben des Alphabets und der Buchstaben im Englischen und Französischen anhand mündlich bekannter kleiner Gedichte oder Dialoge die Schreibung der anderen Sprache im Zusammenhang mit ihrer Aussprache. Auch der Grammatikunterricht wird erst begonnen, wenn ein erstes Bewusstsein für die Grammatik der Muttersprache entwickelt worden ist.

Die Unterrichtsmethodik ändert sich entsprechend dem Lebensalter und Entwicklungsstand der Schüler. Vom ersten spielerischen Erwerb der anderen Sprachen führt der Weg  nach der Grundschulzeit auch hin zum bewussten Erarbeiten der Sprache, d.h. dem bewussten Erüben grammatischer Regeln, dem Erweitern des Wortschatzes durch Vokabelarbeit usw. Dennoch versucht die Waldorfpädagogik durch ihren Ansatz in den Kindern als Grundlage ein frühes Sprachempfinden zu wecken und zu erhalten.

Sozialbildende Aspekte

Hinter der Forderung,  möglichst früh den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule einzuführen, stehen meist rein pragmatische Argumente: Bessere Bildung – bessere Berufschancen, Notwendigkeit der Mehrsprachigkeit in unserer globalen Kommunikationsgesellschaft usw. Dies ist sicherlich richtig und zeitgemäß.

Man kann jedoch den Fremdsprachenerwerb auch aus einem anderen Aspekt beleuchten und sich mit der Frage beschäftigen, was sich in den Kindern im tieferen Hintergrund entwickelt, wenn sie mit anderen Sprachen in Kontakt kommen. Welche Welt erschließt sich den Kindern?

Sprache ist im engsten Sinn mit dem Denken verbunden. Die Begriffe, mit denen wir aufwachsen, formen unser Denken. So hat jede Sprache eigene Begriffe, in denen sich die Denkweise der jeweiligen Sprachgemeinschaft ausdrückt. Daher ist es häufig so schwer, Begriffe und vor allem Redewendungen wörtlich von einer Sprache in die andere zu übersetzen.

Während die europäischen Sprachen z.B. nur ein Wort für "Reis" kennen, verfügt das Japanische über  acht  verschiedene Worte dafür. Wenn wir an "Frühstück" denken ist dies inhaltlich etwas anderes als das was sich der Franzose unter "petit déjeuner" und der Engländer oder Amerikaner unter "breakfast" vorstellt, denn wir haben andere Essgewohnheiten als die Franzosen und Engländer und Amerikaner. Gelingt es, mit dem Fremdsprachunterricht auch diese kulturellen Unterschiede in den Anschauungen der verschiedenen Sprachen zu vermitteln, so erschließt sich dem Lernenden auch ein größeres Verständnis für das andere Volk, die andere Sprachgemeinschaft.
Das heißt, die Fremdsprache und was sie vermittelt ist nicht mehr das "Fremde", sondern das "Andere", zu dem wir uns in Beziehung setzen, für das wir Verständnis und Nähe aufbringen können.

Insofern wird der Fremdsprachenunterricht in der Waldorfpädagogik auch in seinem sozialbildenden Aspekt, als eine Grundlage zur Entwicklung von größerem Verständnis, Toleranz  und Offenheit im Empfinden gegenüber anderen und vor allem anderssprachigen Menschen und Kulturen gesehen.
Dies ist sicherlich neben den berechtigten pragmatischen Gründen, die für einen frühen Fremdsprachenerwerb sprechen, eine der wichtigsten menschlichen Erziehungsaufgaben.

Auszüge mit freundlicher Genehmigung von
Cornelia Stoll-Flemming
Englischlehrerin / Klassenlehrerin der Waldorfschule Karlsruhe